Reifengrundlagen: Reifen-Erstausrüstung

Der folgende Artikel stammt aus dem Online Magazin des Spiegels. Der Artikel ist im orginal zu finden unter folgendem Link.
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**Wer hätte das gedacht?

Wer einen Neuwagen kauft, grübelt über Marke und Modell, wägt Motorisierung, Lackierung, Ausstattung ab. Dass das neue Auto mit anständigen Reifen ausgeliefert wird, versteht sich von selbst, ist es aber keineswegs: Hinter der Erstausrüstung steckt ein gigantischer Entwicklungsapparat.**
Rund 27 Millionen Reifen, die für Neuwagen bestimmt waren, haben die deutschen Reifenhersteller im vergangenen Jahr ausgeliefert. Die so genannte Erstausrüstung ist das wirtschaftliche Rückgrat der großen Pneufabrikanten. Es trifft zwar zu, dass kaum ein Käufer eines Neuwagens sich darum kümmert, mit welchen Reifen sein Auto ausgeliefert wird - doch auf sein Kaufverhalten beim nächsten Reifenkauf hat das durchaus einen Einfluss. „Wenn der Autofahrer mit den ab Werk gelieferten Reifen zufrieden war, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass er beim Nachrüsten zur gleichen Reifenmarke greift“, sagt Peter Becker, Leiter der Pkw-Reifenentwicklung bei Dunlop. Das Unternehmen beliefert europaweit rund zwei Dutzend Autohersteller mit Reifen.

Bis allerdings ein neues Automodell und ein Reifen zueinander passen, vergehen rund zwei Jahre. Das heißt, dass sich die Entwicklungsabteilungen der Autohersteller gut zwei Jahre, bevor ein neues Fahrzeug auf die Straßen kommt, an die Entwicklungsabteilungen der Reifenhersteller wenden. „Damit ist gewährleistet, dass wir zum Beispiel für die Entwicklung spezieller Winterreifen zwei Winter zur Verfügung haben, in denen wir die Leistung des Reifens auch in der Kälte, bei Eis oder Schnee testen und weiterentwickeln können“, sagt Victor Underberg, Leiter der Entwicklungsabteilung Räder und Reifen bei Audi in Ingolstadt.

Bei der Reifenauswahl für ein neues Audi-Modell werden stets die sechs gleichen Pneuhersteller kontaktiert, von denen dann nach intensiven Vortests jeweils drei als Entwicklungspartner ausgewählt werden. „Die Reifenhersteller haben ihre Reifen-Baureihen, wir haben unser Lastenheft“, sagt Underberg. Beides gilt es miteinander in Einklang zu bringen, und das funktioniert ganz grob gesagt so: Die Reifenhersteller wählen den am besten zum Auto passenden Reifen aus ihrem Sortiment aus und ändern dann den Aufbau des Pneus so lange, bis die Audi-Ingenieure zufrieden sind.

„Das Profilmuster und die Typ-Benennung bleiben erhalten“, sagt Dunlop-Mann Becker, „aber die Konstruktion des Reifenunterbaus, der Karkasse - oft auch als Rückgrat des Reifens bezeichnet - der Aufbau des Stahlgürtels mit dem darüberliegenden Nylonband und schließlich die Gummimischung für die Lauffläche, werden für jedes Fahrzeugmodell neu abgestimmt.“ Es kann also durchaus passieren, dass zwei ähnliche Fahrzeuge unterschiedlicher Autohersteller auf scheinbar gleichen Reifen rollen, doch tatsächlich sind die Pneus unterschiedlich.

„Neu abgestimmt“, das hört sich harmlos an. Doch dahinter steckt ein immenser Aufwand. Bis ein neuer Reifen für ein neues Opel-Modell beispielsweise freigegeben wird, sind drei bis vier Entwicklungsstufen notwendig. „Und in jeder dieser Stufen wird der Reifen im Zusammenspiel mit dem neuen Fahrwerk getestet. Auf trockener Straße und bei Nässe, in Kurven und beim Bremsen, unter Volllast, auf der Aquaplaningstrecke sowie in den Kriterien Abrollgeräusch und Rollwiderstand“, beschreibt Horst Bormann, Leiter der Fahrwerksentwicklung bei Opel, die Prozedur der immer genaueren Feinabstimmung. Gefahren wird dabei auf normalen Straßen, Teststrecken und auf der Nürburgring-Nordschleife - und natürlich müssen die Reifen auf Prüfständen ihre Eigenschaften unter Beweis stellen.

„Sie können mit den Reifen das Fahrverhalten eines Fahrzeugs signifikant verändern“, sagt Bormann. Das gilt umso mehr, da moderne Regelsysteme wie ABS, Traktionskontrolle oder ESP nur so gut arbeiten können, wie der Kontakt des Reifens zur Fahrbahn ist. Dazu kommen zwei Trends, die Opel-Experte Bormann folgendermaßen kennzeichnet: „Einerseits wünschen wir uns immer leistungsstärkere Reifen, vor allem was die Verkürzung der Bremswege angeht. Zugleich soll der Rollwiderstand möglichst gering sein, um dazu beizutragen, den Spritverbrauch und damit den CO2-Ausstoß zu senken.“

Ob Otto-Normal-Autofahrer die feinen Unterschiede, mit denen Reifen- und Fahrwerksentwickler inzwischen beim Thema Erstausrüstung operieren, im Alltag überhaupt bemerken? Dunlop-Entwickler Becker räumt ein, dass sei vermutlich nicht der Fall. „Allenfalls Testfahrer haben das nötige Gespür.“ Dennoch sei der hohe Entwicklungsaufwand sinnvoll, der vor der ersehnten Freigabe als Erstausrüstungs-Reifen getrieben werde. „Wenn es zu einer wirklich kritischen Fahrsituation kommt, reagiert ein optimal ausgelegter Reifen am besten. Wir wollen, dass auch das letzte Quentchen mehr Sicherheit aus Reifen und Auto herausgeholt wird.“

Anmerkung von Laffer:

Da ich selbst bei Michelin, und sehr bald bei Continental arbeiten werde, kann ich das bestätigen. Allerdings gilt das nur für den Erstausrüsterreifen, wenn man später einen Reifen nachkauft (sei es auch das selbe „Modell“), erhält man aber einen neutralen, NICHTSPEZIFISCHEN Reifen, der auf viele Fahrzeuge passt.

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