Was ist der technische Grund für die unterschiedliche Anzugsmomente der Radschrauben bei unterschiedlichen Fahrzeugen

Hallo,
ich habe mal Frage.
Kennt jemand den technischen Grund/Gründe für die unterschiedlichen Anzugsmomente der Radschrauben bei den verschiedenen Herstellern?

Schaut man in die entsprechenden Tabellen, gibt es eine riesige Bandbreite von Momenten. Ich würde ja bei gleicher Gewindeart u. Bolzengröße einen Zusammenhang zum Fahrzeuggewicht oder der Fahrzeugleistung vermuten.
Aber das lässt sich in keiner Weise bestätigen. Da hat eine Corvette mit mindestens 450 PS nur 110 Nm und ein BMX X5 mit Leergewicht von rund 2 Tonnen nur 140 Nm.

Was mir auffällt sind die vergleichsweise hohen Momente für Sharan und Galaxy. Der aktuelle Galaxy schießt mit 220 Nm den Vogel ab.
Warum ist das so?

Warum muss z.B. ein Galaxy mit 220 Nm angezogen werden und der X5, welcher deutlich schwerer und deutlich Leistungsstärker ist, nur mit 140 Nm? Beide verwenden M 14x1,5.

Gruß
t.klebi

#1

Hi t.klebi,

220 Nm hört sich unvernünftig viel an.

Grundsätzlich sollte die Form des Schraubensitzes einen gewissen Einfluss auf das notwendige Drehmoment haben. Beim SGA1 gab es für Stahl und Alu unterschiedliche Bolzen und Drehmomente. Die Gewinde sind da eher zweitrangig. Der Lochkreisdurchmesser muss ebenfalls eine Rolle spielen, da bei größerem Lochkreis der Hebel der Bolzen größer ist.

Darüberhinaus würde ich die Festigkeit der Gesamtkonstruktion Radnabe, Bremsscheibe und Felge in Betracht ziehen, aber damit kennen sich andere besser aus.

Gruß,
Hinki

#2

Ja so eine Frage bei dir fachgerecht zu beantworten, ist gar nicht leicht. Was ich weiß, ist dass beim Anzugsdrehmoment eine Unter- und Obergrenze gibt. Wie weit sie von einander abweichen, weiß ich nicht. Manche Hersteller tendieren die Werte eher an Maximum- und manche an die Minimumsgrenze oder zur Mitte festlegen. Warum keine Ahnung. So tendieren z. B. Italiener zur Maximums Werte. Da darf man den festgelegten Wert nicht überschreiten, ggf brechen die Schrauben durch. Dies ist besonders bei Fahrräder zu beachten.
Ich kann mir auch gut vorstellen, dass hierbei nicht nur das technische Wissen eine Rolle spielt, sondern auch die Praxiserfahrung einzelner Hersteller, ohne den genauen Grund zu wissen.

LG

#3

Da war doch mal was, wo ich meine Meinung korrigieren musste. Gesucht und das hier gefunden. Beitrag 63 und 64. Die Kraft auf die Felge wird allein durch Reibung übertragen (keine Scherbelastung der Radschrauben wie ich erst dachte). Entscheidend sind hier wohl, wo die Anlageflächen genau sind (wo auch die Kräfte durch Reibung übertragen werden). Dabei spielt der Abstand der Reibflächen zum Radmittelpunkt, bedingt durch die Hebelkräfte, eine mit entscheidende Rolle. Je weiter die Flächen außen liegen, umso weniger Anpressdruck ist notwendig, um die Kräfte zu übertragen. Außerdem spielt noch die Anzahl der Schrauben eine Rolle - je mehr Schrauben, umso mehr Anpressdruck. Also kann es da schon größere Abweichungen geben.

Das zur Theorie. Um ehrlich zu sein, ich ziehe die Schrauben immer pi mal Daumen an und in den Reifenwechselcentern habe ich das Gefühl, daß dort auch immer der gleiche Drehmoment verwendet wird. Jedenfalls habe ich nie gesehen, daß die an der Pistole irgendetwas verstellen, wenn die von einem Fahrzeug zum anderen wechseln - wer hat auch schon die Anzugsmomente für jedes Fahrzeug im Kopf.

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#4

Ich unterstelle jetzt mal Ford nicht, unvernünftige Drehmomente anzugeben. Die Frage ist nur, warum so viel? Mein Modell hat noch „nur“ 170 Nm.

Lochkreisdurchmesser wäre noch eine Erklärung. Aber so unterschiedlich sind die ja zwischen den verschiedenen Fahrzeugen auch wieder nicht. Im Endeffekt werden sicherlich die auf die Felge wirkenden Kräfte zum Großteil von den Reibungskräften zwischen Felge und Radflansch übertragen. Dazu kommt noch das Felge und Radflansch meist formschlüssig verbunden sind.

Festigkeit der Gesamtkonstruktion? Die sollte bei schwereren und leistungsstärkeren Fahrzeugen höher sein. Trotzdem hat der Beispielhafte X5 nur 140 Nm.

:-/

#5

Na ich hoffe doch wohl, dass deine Werkstatt die Schrauben endgültig mit dem DreMo anzieht.

Ansonsten könnte deine Erklärung aber zutreffen. Aber sind denn die Felgenformen (Anlageflächen) tatsächlich bei den verschiedene Fahrzeugen so unterschiedlich, dass immerhin ein doppelt so hoher Anpressdruck erforderlich wird?

#6

Da kann ich fast nur sagen träum weiter. Geh mal zu einem Reifenhändler und dann am besten bei einem Wintereinbruch, wo alle Leute wechseln wollen und schau dort zu - also ich habe da noch nie jemanden mit Drehmomentenschlüssel arbeiten sehen. Und ehrlich, schau mal die Tabelle an - die hat man natürlich ohne Probleme im Kopf.

Die Hauptanlageflächen sind wahrscheinlich um Bereich vom Lochkreisdurchmesser (das ist jetzt aber meine Vermutung). Die Größe der Anlagefläche spielt keine Rolle, da die Reibkraft nur durch den Reibkoeffizienten und den Anpressdruck bestimmt wird - hatte gerade am Wochenende wieder eine Unterhaltung mit meinem Vater (Maschinenbauingenieur), was ihm im Studium immer nicht so richtig vorstellbar war und da erwähnte er genau diesen Punkt - größere Fläche kleinerer Flächendruck - größere Fläche höherer Flächendruck - aber die Kraft, um die Reibkraft zu überwinden bleibt gleich.

#7

#6 Bei unseren Reifenhändlern wird nach dem Druckluftschrauber immer noch eine Runde mit dem Drehmomentschlüssel gemacht. Wobei ich aber nicht garantieren kann, dass jeweils für mein Fahrzeug individuell das Drehmoment neu eingestellt wird.

#8

Die Runde mit dem Drehmomentschlüssel kenn ich. Wenn man aber auf die 170 Nm für meinen hinweist, gibt’s nur ungläubiges Staunen: „Wir ziehen immer mit 120 Nm an“. Soweit zur Präzision der üblichen Arbeit.

#9

Mmh. Ich habe noch niemals gesehen, dass ohne DreMo gearbeitet wird.
Und ob Du es glaubst oder nicht, mein bevorzugter Reifenhändler schaut vorher auf seine Tabelle an der Wand.

PS:
Dieser Reifenhändler ist aber auch der Einzige, der tatsächlich die Ventilmarkierung auf neuen Reifen beachtet.

#10

Da liegst du mit deiner Hoffnung sehr, sehr falsch, leider!
Egal wo und bei wem ich bis jetzt die Räder o. Reifen wechseln lies, mit dem Schlagschrauber anknallen, mit dem Drehmomentschlüssel nachziehen, wobei sich die Radschraube keinen mm mehr bewegt hat, also nur eine Alibihandlung um den Kunden zu beruhigen.

Du musst nur mal so "scheinheilig "fragen: mit welchem Drehmoment zieht man denn bei meinem Auto die Radschrauben an, denn ich habe da absolut keine Ahnung?
Nächste Frage dann: Hast du alle Werte der Autos im Kopf oder habt ihr da eine Liste?

Ja, und ich kann komische Fragen stellen, weil ich absolut keine Ahnung habe :badgrin:

Nette Grüße

#11

#10
Ich kann nur von meinen persönlichen Erfahrungen berichten.

-Mein alter Reifendealer lies das Auto ab, fragte mich immer nach dem DreMo, stellt den Schlüssel ein und zieht die Räder nach.
-Mein aktueller Reifendealer lässt das Auto ab, geht zu seiner Liste an der Wand, stellt den Schlüssel ein und zieht die Räder nach.
-In der letzten Fordwerkstatt waren alle Radmuttern viel zu locker. Auf Nachfrage wurde mir mitgeteilt, dass mit 140 Nm angezogen werden. Dieser Wert ist für mein Fahrzeug (170 Nm) zwar definitiv falsch aber zumindest waren es nachvollziehbar überall zu wenig. Ganz offenbar wurde ein DreMo verwendet.
-Meiner aktuellen Fordwerkstatt habe ich diesbezüglich noch nicht auf die Finger gesehen. Aber vom Gefühl her beim Nachziehen, scheinen die Radmuttern alle mit dem korrekten DreMo von 170 Nm angezogen zu sein.

#12

#8 #11 Entspricht auch meiner Erfahrung. Ich ziehe sie immer später mit 170 Nm nach. Aber vor Jahren bei meinem T4 habe ich vergessen die Schrauben richtig anzuziehen. Erst mit der Hand leicht angezogen und hatte vor später mit Dremo sie richtig anzuziehen, halt vergessen. Erst nach 50 Km auf der Autobahn stellte ich mit Schrecken fest, was ich getan hatte. Nächster Parkplatz und zog ich die Schrauben nach. Zu meiner Erstaunen, waren Schrauben nicht lockerer als vorher.

#13

Ich habe auch die Erfahrung gemacht, das immer ein fix eingestellter DreMo bei den Reifenleuten benutzt wird - PKW meist 120Nm.

Wenn nicht mit dem DreMo Schlüssel, dann mit soetwas auf dem Schlagschrauber.

Letztes Jahr hatte ich es auch mit solch einem Torsionsaufsatz gemacht (120Nm) - beim nachziehen (mit ebenso 120Nm) war nichts zu machen, alles fest. Nach der Saison ebenso - die Schrauben gingen alle wie geplant auf - sprich keine war locker.

#14

Das Anzugsmoment einer Schraube zu ermitteln bzw. eine Schraubenverbindung auszulegen, erfordert ja im Maschinenbaustudium mehrere Vorlesungsstunden, und ist ideal geeignet, um Studenten in Prüfungen damit zu quälen.

Die Anzahl der Einflussgrößen ist groß:
Zu übertragende Flanschkraft, Werkstoff der Schraube und seine Wärmebehandlung, Dimension, zu erwartende Setzbeträge, Steifigkeit von Schraube und Flansch, geforderte Sicherheit gegen Fließen des Bolzens, Sicherheit gegen Gewindeausreißen, Sicherheit gegen Dauerbruch bei dynamischer Belastung, Sicherheit gegen Vorspannungsverlust durch Erwärmung,
der Reibungskoeffizient zwischen Felge und Nabe sowie Schraube und Gewinde unterliegt einer großen Bandbreite ( neu und trocken, rostig und ölig), großer Temperaturbereich ( ich schätz mal -50 bis +200° C), neu und verschlissen Sicherheitsreserve gegen Lösen, korrosive Einflüsse (Salz), Forderung: Anzahl der Radschrauben beim PKW +/- 5 Stück pro Rad,
billig soll die Schraube auch sein, klar.

Führt man sich das alles vor Augen wird klar, wie je nach getroffenen Annahmen und Firmenphilosophie ganz verschiedene Ergebnisse herauskommen können.

Ich habe jahrelang mit 140 Nm angezogen, weil es in meinem Bordbuch steht. Erst hier im Forum und dann im RLF hab ich von den 170 Nm gehört. So oder so ist nie ein Rad abgefallen, weil da eben große Sicherheiten drin sind.

Vom Anziehen nach Gefühl halte ich trotzdem nichts, da das kaum gleichmäßig wird. Am Abdruck, den die Felge auf der Radnabe nach jeder Reifensaison hinterlassen hat, sieht man das.

Ich habe übrigens noch keinen Reifenhändler gesehen, der ohne Drehmo arbeitet. Im Gegenteil, da kriegt man hier einen Zettel ins Auto, dass man nach 100 km zum Nachziehen kommen soll.
Das halte ich wieder für unsinnig, denn noch nach keiner Inspektion mit Bremsenwechsel sah ich jemals so einen Hinweis…

Gruß
Bullifritz

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#15

In #6 hat sich natürlich ein Fehler eingschlichen „größere Fläche kleinerer Flächendruck - größere Fläche höherer Flächendruck - aber die Kraft, um die Reibkraft zu überwinden bleibt gleich.“ - muß natürlich heißen: größere Fläche kleinerer Flächendruck - kleinere Fläche höherer Flächendruck bei gleicher Anpreßkraft- aber die Kraft, um die Reibkraft zu überwinden bleibt gleich.
Corvette und BMW X5 haben z.B. Lochkreis 120 und SGAF eben 112. Also würde ich mal annehmen, daß dort die Reibflächen weiter außen liegen. Außerdem Spielt ja auch noch die Reifengröße eine Rolle - also die Wangenhöhe vom Reifen, da sie ja auch in den Hebel eingeht. Der neue Galaxy hat übrigens Lochkreis 108mm - also liegen die Reibfläche wahrscheinlich näher am Mittelpunkt.

Ansonsten hat eben jeder seine eigene Meinung zum Drehmoment bei Radschrauben - ich sehe das nicht so kritisch, solange sie wirklich angezogen werden. Daß man eine Schraube abreißt kann ich mir fast nicht vorstellen - jedenfalls nicht ohne Verlängerung. Wenn sie nur handfest angezogen werden - passiert eigentlich nur, wenn man abgelenkt wird wie Garfild und es vergisst, dann kann einen das eigene Rad schon mal überholen.

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#16

Ja, man wird die Reibfläche immer im Bereich des Lochkreises vorsehen, denn dort pressen die Schrauben die Felge an die Nabe. Alles andere wäre eine Fehlkonstruktion :smiley:

Da die Reibungsverhältnisse bei allen Autos etwa gleich sein dürften:
Bei gleichem Drehmoment erfordert logischerweise ein kleiner Lochkreis höhere Flanschkraft als ein großer.

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#17

Der unterschiedliche Lochkreis ist eine, wie ich finde, sehr plausible Erklärung für die unterschiedlichen DreMo.

Vielen Dank an die Beteiligten. :prima:

#18

#6 und #8 Bei uns hängt für jeden Mechaniker ganz einfach zu erreichen eine Drehmomenttabelle an der Wand und es ist eine Selbstverständlichkeit das die Drehmomente beachtet werden.
Jeder Arbeitsplatz ist mit mindestens einem Drehmomentschlüssel ausgestattet der auch benutz wird.

#10 Wenn ich das beim AzuBi sehe werden ALLE Radschrauben wieder gelöst und das Ganze nochmal von Neuem bis sich die Radschraube am Drehmomentschlüssel sichtbar dreht. Ich habe keine Lust vor allem nach der Wintersaison mit dem 1" Schlagschrauber die Schrauben von der Nabe zu holen.

#14 Die Reifenhändler wissen das sehr wohl das es besser wäre nachzuziehen. Viele Werkstätten vergessen das aber scheinbar. Auch ich kenne viele (auch Markenwerkstätten) die nach dem Abmontieren der Räder den Kunden nicht auf das Nachziehen hinweisen. Dabei ist das doch wirklich einfach zu handhaben. Bei uns wird beispielsweise im Auftrag ein Hinweis automatisch aufgedruckt sobald dort Teile oder Arbeiten auftauchen die das Abmontieren der Räder nötig machen wie beispielsweise Bremsbeläge usw. Der Mitarbeiter der das Fahrzeug an den Kunden ausgibt kann das ebenfalls deutlich sehen und weist den Kunden dann separat nochmals darauf hin.
Wir hatten früher kleine Sticker im Einsatz die auf das Lenkrad geklebt wurden, aber da war die Rücklaufquote der Kunden die tatsächlich zum Nachziehen kamen wesentlich geringer. Vermutlich hat das schlicht keiner gelesen.

#15 Bei neueren Opel mit Radmuttern (Insignia & Co) ist ein Drehmoment von 150 NM vorgesehen. Wenn das minimal überschritten wird drehen die Stehbolzen durch.
Auch abgerissene Radschrauben habe ich schon genug gesehen. Zwar meist dann wenn sie irgendwie vorgeschädigt waren, aber das kann man hinterher leider nicht immer nachvollziehen.
Wenn ich mit einem 70cm Drehmomentschlüssel die Schrauben anziehe merke ich mindestens einmal pro Saison eine Radschraube die weich wird. Aber mir ist auch schon eine M12 Radschraube bei 120Nm ohne Vorwarnung abgerissen.

#19

#18
wie kommt ihr jetzt auf 170NM?

Beim Sharan steht 140nM im Bordbuch.

Zu wenig?